Wegbereiter des modernen Zoologischen Gartens
Zum Gedenken an Professor Dr. Lothar Dittrich
Der Erlebnis-Zoo Hannover trauert um den ehemaligen Zoodirektor. Professor Dr. Lothar Dittrich verstarb am 6 August 2021 mit 89 Jahren in Hannover.

„Ein langer und oft auch verschlungener Weg musste zurückgelegt werden, damit entstehen konnte, was der Zoo Hannover heute darstellt.“ So hat Prof. Lothar Dittrich im Jahr 1990 die Entwicklung „seines“ Zoos in die Moderne beschrieben – er selbst war maßgeblicher Bereiter, Begleiter und Gestalter dieses Weges. Und hat damit Zoogeschichte geschrieben.
Lothar Dittrich wurde am 20. April 1932 in Magdeburg geboren. Nach dem Abitur in Grimma (Sachsen) studierte er von 1950-55 Biologie an der Universität Leipzig, wo er 1960 auch promovierte. 1954 begann er als wissenschaftliche Hilfskraft im Zoo Leipzig, wurde Assistent und ab 1958 Stellvertreter des Zoodirektors. 1961 verließ Dittrich die damalige DDR aus politischen Gründen.
Den beruflichen Neubeginn läutete er zunächst als Tierpfleger bei der Tierhandelsfirma Ruhe in Alfeld ein, bis er im September 1961 zum wissenschaftlichen Leiter des seit 1931 von der Firma Ruhe gepachteten Zoo Hannover aufstieg. Im Jahr 1972 ging der Zoo wieder in den Besitz der Stadt Hannover über und von nun an leitete Lothar Dittrich die Geschicke des Hannoverschen Zoos als Zoodirektor.
Visionär: Ideen mit weltweiter Strahlkraft
Mehr als 20 Jahre lang bewies er Mut, Weitsicht und stellte immer das Tierwohl in den Mittelpunkt. Er entwickelte das neue System der symbolischen Gehegebegrenzung, das unter dem Begriff „Hannoversches Grabenprinzip“ Weltruhm erlangte. Beobachtungen im täglichen Zoobetrieb hatten gezeigt, dass eingewöhnte Zootiere eine sehr starke Bindung zu ihrer vertrauten Anlage haben und diese Bindung sogar in Extremsituationen bestehen bleibt. Statt die Anlagen mit unüberwindbaren Barrieren zu begrenzen, wurde die Idee einer symbolischen Begrenzung geboren, die territoriales Verhalten ermöglicht. Denn Tiere betrachten ihre Anlage als ihren sicheren Lebensraum, in dem ihre Bedürfnisse gestillt werden. Darauf beruht ihr freiwilliges Bleiben. Lothar Dittrich selbst bezeichnete diese Erkenntnis als „die größte Leistung unseres Zoos für die Fortentwicklung der Tierhaltung“.
Dittrich etablierte darüber hinaus die Streichelwiese, damals europaweit einmalig und bis heute eine Idee, die Klein und Groß über Generationen hinweg begeistert.
In den 1980er Jahren erzielte der Zoo Hannover unter der Leitung von Professor Dittrich große Zuchterfolge, der Zoo beteiligte sich zudem an vielen Auswilderungsprogrammen. 1972 beispielsweise war die Arabische Oryxantilope in ihrem ursprünglichen Lebensraum ausgestorben. Der Zoo Hannover beteiligte sich erfolgreich am Erhaltungszuchtprogramm, in den 1980er Jahre konnte die Antilopenart wieder in der Wildbahn angesiedelt werden.
Ein ähnlicher Erfolg gelang dem Zoo unter Dittrichs Leitung mit den Mendesantilopen, auch Addax genannt: Eine nach wie vor bedrohte Art, für deren Schutz sich der Erlebnis-Zoo bis heute besonders engagiert und damit an Lothar Dittrichs Wirken anknüpft und es weiterführt.
Ein Höhepunkt seiner Amtszeit war der Neubau des Urwaldhauses für Primaten, das 1981 eröffnete. Das Urwaldhaus setzte neue Maßstäbe – architektonisch und als naturnah gestaltete Anlage, in der sich die Blickachsen auf die Tiere öffneten wie Lichtungen im Urwald. Üppig bepflanzt setzte das markante Bauwerk ganz neue Akzente. Über die Tore Hannovers hinaus wirkte Dittrich zudem als Fachberater für den Bau moderner Zoo-Anlagen. So plante er die Neuanlage des Zoologischen Zentrums in Ramat Gan (Tel Aviv) und begleitete jahrelang alle Baumaßnahmen sowie die Planung des Tierbestands.
Der Zoo als Ort der Bildung und der Wissenschaft
Lothar Dittrich setzte sich leidenschaftlich dafür ein, dass der Zoo als Bildungseinrichtung wahrgenommen wurde. 1971 erhielt er an der renommierten Tierärztlichen Hochschule Hannover den Lehrauftrag für „Biologie und Haltung der Zootiere“, acht Jahre später wurde er zum Honorarprofessor berufen. Seine Vorlesungen galten als wegbereitend für ein sich entwickelndes Ausbildungsangebot der Tiergartenbiologie und Zootiermedizin an der Tierärztlichen Hochschule. Bis zum Ende seiner Lehrtätigkeit 1993 trug er zur wissenschaftlichen Ausbildung zahlreicher junger Menschen an der Hochschule bei. Er verfasste eine Vielzahl wissenschaftlicher sowie zoohistorischer Arbeiten, darunter den Grundlagenband „Zootierhaltung – Tiere in menschlicher Obhut“, eine Biografie Carl Hagenbecks und den Band „Ein Garten für Menschen und Tiere“ (mit Annelore Rieke-Müller) zum 125-jährigen Jubiläum des Zoo Hannover.
Als Gründungsmitglied des Vereins der „Zoofreunde Hannover e.V.“ schrieb Lothar Dittrich für die Zeitschrift „Der Zoofreund“ mehr als 100 Beiträge und engagierte sich als stellvertretender Vorstand. Seine Expertise nutzte Dittrich zudem, um mit Themen wie Tierschutz und Wildtierhaltung regelmäßig in den Medien Präsenz zu zeigen. So war er seit 1966 wissenschaftlicher Berater und Textautor für das Tiermagazin „Tele-Zoo“.
1993 beendete Prof. Dr. Lothar Dittrich seine Laufbahn im Zoo Hannover und widmete sich wissenschaftlichen Arbeiten.
Professor Lothar Dittrich war zoologischer Visionär, leidenschaftlicher Wissenschaftler und ein Kenner der Geschichte des hannoverschen Zoos wie kaum ein anderer. Auch nach seiner aktiven Zeit blieb er dem Erlebnis-Zoo verbunden. Er wird sehr fehlen.
Wir sind in Gedanken bei seiner Familie.