Spurenlesen für den Artenschutz

Zootiere helfen bei der Forschung zu Populationsgenetik von Wisenten

Die Bisons und Hausrinder im Erlebnis-Zoo schauten etwas verwundert drein. Die Zweibeiner trugen plötzlich blaue Handschuhe und hielten seltsame Dinge in ihren Händen – Wattestäbchen und Reagenzröhrchen.

Schwarzbuntes Rind im Erlebnis-Zoo: Seltene Rasse
Im Rahmen einer molekular-genetischen Studie für den Artenschutz von Wildrindern wurden Speichel- und Kotproben gesammelt, auf dass diese anschließend im Labor analysiert werden konnten. Darunter auch Proben von den Waldbisons aus Yukon Bay, Dahomey-Zwergrind „Hannibal“ vom Sambesi-Kraal sowie des Altdeutschen Schwarzbunten Niederungsrinds „Emma“ und Harzer Rotviehs „Irma“ auf Meyers Hof. Biologe Gerrit Wehrenberg, der diese Studie im Rahmen seiner Masterarbeit durchführte (Goethe-Universität Frankfurt und Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt), wurde beim Sammeln vor Ort tatkräftig von den Tierpflegern Marcel Rehse und Philipp Plate sowie Zootierarzt Dr. Viktor Molnár unterstützt.
Unterstützte tatkräftig beim Sammeln der Proben: Zoo-Tierarzt Dr. Viktor Molnár
Unterstützte tatkräftig beim Sammeln der Proben: Zoo-Tierarzt Dr. Viktor Molnár
Damit war der Erlebnis-Zoo einer von europaweit 37 Zoos, Wildparks und anderen Kooperationspartnern, die über 1.600 Einzelproben von über 400 Individuen elf verschiedener Rinderarten zu dieser Forschungsstudie beigetragen haben. Darunter sind teils exotische Spezies wie zentralasiatische Yaks, indische Wasserbüffel, indonesische Anoas oder afrikanische Büffel. Der Fokus der Studie lag hauptsächlich auf dem Wisent, der eigentlich auch in niedersächsischen Wäldern heimisch, zwischenzeitlich aber global in der Wildbahn ausgerottet worden war. Durch erhebliche Artenschutzbemühungen Anfang des 20. Jahrhunderts wurde dieses Wildrind vor dem Aussterben bewahrt. Zwar ist die Population durch eine erfolgreiche Erhaltungszucht in Zoos und Wiederansiedelungen in angestammten Regionen weltweit wieder auf über 8.400 Individuen herangewachsen, ist aber weiterhin durch eine sehr niedrige genetische Vielfalt bedroht. Noch bis 1990 hielt und züchtete auch der Zoo Hannover selbst Wisente für den Arterhalt.
Auf Meyers Hof: Das Harzer Rotvieh
Auf Meyers Hof: Das Harzer Rotvieh

Schutz bedrohter Arten durch Analyse der genetischen Diversität

Molekulare Analysen der genetischen Diversität sind ein erfolgsversprechendes Werkzeug für das Management zum Schutz bedrohter Arten. Der aus Hannover stammende Biologe Gerrit Wehrenberg hat ein sogenanntes „SNP-Panel“ für nicht-invasive Proben von Wildrindern mit niedriger DNS-Qualität entwickelt. Solche Proben können Umweltspuren der Tiere wie Dung, Urin, Speichel oder Haare sein. Diese können beispielsweise von Nationalpark-Rangern im Feld gesammelt und anschließend im Labor analysiert werden, um so über ihren Verursacher Aufschluss zu geben. „Auf diese Art kann man die Tiere effektiv monitoren, ohne sie fangen oder auch nur stören zu müssen – ein Primärziel von Auswilderungen“, so Wehrenberg.
Gerrit Wehrenberg bei der Laborarbeit in Gelnhausen Foto: Anouk Ebenezer
Gerrit Wehrenberg bei der Laborarbeit in Gelnhausen Foto: Anouk Ebenezer
Insgesamt 96 Stellen im Genom der Tiere, sogenannte SNPs (gesprochen „Snips“ für Einzelnukleotid-Polymorphismen; engl.: single nucleotide polymorphisms), sind zu diesem neuen SNP-Panel zusammengefasst. Sie ermöglichen viele verschiedene Diagnosen und Einblicke in die Populationsgenetik der Wildrinder, die für die Artenschützer entscheidende Bedeutung haben. An nur einer Kotprobe können nun Geschlecht, Eltern oder die genetische Diversität des Tieres bestimmt werden.
Schwesternart: Bisons sind nahe Verwandte der Wisente
Schwesternart: Bisons sind nahe Verwandte der Wisente

Bisons und Hausrinder sind Schwesternarten vom Wisent

Als nahe Verwandte, sogenannte Schwesternarten, vom Wisent, waren die hannoverschen Bisons und Hausrinder für die Analysen äußerst wichtig. Zwergrindbulle Hannibal beispielsweise war im Detail interessant, da er ein Vertreter einer alten afrikanischen Hausrindlinie ist, die deutlich andere genetische Muster aufzeigen, als heimische Hausrinder. So konnte der Biologe letztlich feststellen, dass grundlegende Anwendungen des SNP-Panels auch für Amerikanische Bisons, Hausrinder und asiatische Gaure sowie Bantengs funktionieren.
Auch vom Harzer Rotvieh wurden Proben gesammelt
Auch vom Harzer Rotvieh wurden Proben gesammelt
Die Forschung mit den „Studienteilnehmern“ aus Hannover zeigt, dass das ursprünglich strikt für Wisente entwickelte SNP‑Panel ohne Anpassungen in elementaren Fragestellungen für teilweise ebenfalls naturschutzrelevante Wildrindarten sofort angewendet werden kann. „Außerdem hat es mich persönlich sehr gefreut, dass mein Heimatzoo an meiner Studie teilnimmt! So hatte ich auch die Chance den weihnachtlichen Familienbesuch zu nutzen, um die hilfsbereiten Kollegen im Zoo zur Beprobung persönlich kennenzulernen“, berichtet Wehrenberg.
Im Erlebnis-Zoo leben die Waldbisons in der Themenwelt Yukon Bay
Im Erlebnis-Zoo leben die Waldbisons in der Themenwelt Yukon Bay
Anwendbarkeit für verschiedenste Probentypen könne das neue SNP-Panel wichtige Aufgaben in den aktuellen Artenschutzbemühungen bewältigen, so Wehrenberg. Derzeit werde an einer Publikation in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift der Studie gearbeitet. Auch auf einer internationalen Konferenz in Frankfurt am Main sei die Studie bereits auf Interesse von Fachleuten gestoßen. „Außerdem wird dieses neue SNP-Panel zum erstmaligen Monitoring wilder Wisentpopulationen zurzeit im Rahmen aktuellen Auswilderungen in Rumänien* eingesetzt“, erklärt der Biologe stolz.
So konnten die Proben der hannoverschen Bisons und Hausrinder einen wichtigen Beitrag für dieses Forschungsprojekt mit direkter Anwendung im Artenschutz für die wilden, aber auch bedrohten Verwandten leisten. Diese erfolgreiche Kooperation zwischen dem Erlebnis-Zoo Hannover, Artenschutz und wissenschaftlicher Forschung zeigt beispielhaft, was Zoos neben Umweltbildung und Erhaltungszucht im Kampf gegen den weltweit zunehmenden Verlust von Biodiversität leisten können.
*(WWF Rumänien, Rewilding Europe und der Romanian Wilderness Society (EU-Life-Projekt))